Das Prinzip der Vertragsfreiheit wurde im Zeitalter des Liberalismus (18./19. Jahrhundert)
entwickelt. Zu dieser Zeit ging man davon aus, dass die Freiheit des Einzelnen das beste Mittel
sei, auch das Wohl der Allgemeinheit zu fördern. Dies schloss die freie Entscheidung der Bürger
über Abschluss und Inhalt von Verträgen ein.
Idealerweise wird durch viele Einzelverträge, also durch dezentral ausgehandelte
Vertragsbeziehungen und -bedingungen, auch insgesamt das für die Allgemeinheit beste
Ergebnis erzielt. Dass die dezentrale Wirtschaftssteuerung, wie sie in einer Marktwirtschaft
existiert, der zentralen Planung überlegen ist, hat der Zusammenbruch des Ostblocks aus
wirtschaftlichen Gründen gezeigt.
Gleichwohl sahen selbst die liberalsten Rechtsordnungen stets Einschränkungen der
Vertragsfreiheit vor, Einschränkungen, die ihren Ursprung zum Teil bereits im römischen Recht
oder früher hatten. Hier sind z.B. Bestimmungen über die Geschäftsfähigkeit, die öffentliche
Sicherheit und Ordnung oder über Fälle von Täuschung oder Drohung zu nennen.
Das bekannteste Beispiel für Vorschriften zum Schutze einer Vertragspartei ist jedoch die aus
dem spätrömischen Recht bekannte 'laesio enormis'. Hiernach lag Wucher vor, wenn ein
Grundstück für weniger als 50% seines Wertes verkauft worden ist. Der Verkäufer hatte dann
das Recht, sich von dem Vertrag loszusagen (C. 4.44.2. Corpus Iuris).
Im mittelalterlichen Kirchenrecht und in der Aufklärung hat sich der Gedanke, dass der Wert
von Leistung und Gegenleistung eines Vertrages ausgewogen sein muss, in ganz Europa
durchgesetzt1. Dies hat sich in den Rechtsordnungen aber ganz unterschiedlich
niedergeschlagen. Am weitesten geht das österreichische Recht, wo der Grundsatz gilt, dass
jeder Vertrag durch beide Parteien anfechtbar ist, wenn ein Missverhältnis zwischen Leistung
und Gegenleistung von über 50% besteht (§ 934 ABGB).
Den Vertretern des Liberalismus war der Gedanke, dass Wucher, also ein erhebliches
Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung, zur Unwirksamkeit eines Vertrages führen sollte, natürlich suspekt. Sie gingen vom Bürgertum als vertragsschließende Parteien aus
und sahen daher grundsätzlich kein Regelungsbedürfnis für solche Fälle, selbst wenn eine Partei
den Wucher nicht erkennen konnte (etwa weil sie gänzlich unbedarft ist) oder wo jemand (z.B.
aus einer Zwangslage heraus) einen solchen Vertrag sehenden Auges akzeptieren muss. [...]
1 Kötz, 199.